Nach langen Planungen haben wir uns dazu entschieden, unseren ersten Versuch im Sommer 2021 in der Landwehrstraße zu unternehmen: die erste Schritte Richtung Superblock Bahnhofsviertel. Die Landwehrstraße erschient (und erscheint) und nach wie vor als der Ort in München, in dem der Handlungsbedarf enorm ist: durch die vollständige Versiegelung des Straßenraums und der Hinterhöfe, den täglichen Stau sowie zwei Reihen stetig beparkter Parkstände, den Lieferverkehr und die räumliche Enge entstehen dort im Sommer Maximaltemperaturen, vor denen die Menschen dort keinen Schutz haben. Die Bürgersteige sind schmal und überfüllt, die Autos stehen im Stau und sorgen für Chaos, Enge, Hitze, Lärm und Giftstoffe.

Da die Gegend stark migrantisch geprägt ist (was auch den Charme ausmacht und München kosmopolitisches Flair verleiht), sind Anwohner und Gewerbetreibenden nicht mit der Praxis der kommunalpolitischen Partizipation vertraut bzw. wissen oft auch gar nicht, dass sie ihre Rechte und Anspräche laut äußern müssen, um Gehör zu finden. Für sie ist der Staat (oder die LHM) kein Ansprechpartner für ihre Probleme – der öffentliche Raum nichts, was von ihnen gestaltet werden kann. Umso überraschter waren sie von unserer Gruppe, die erst anfing, Befragungen und Gespräche mit den Menschen aus der Nachbarschaft zu führen. Schnell stellten sich zwei Themen heraus: das große Bedürfnis nach Ruhe, besserer Luft und mehr Platz zum Aufenthalten und „Sein“ auf der Straße. Und der Unglaube, dass sich Menschen in einer so chaotischen, oft dreckigen Gegend mit wenig nachbarschaftlichen Strukturen engagieren wollten.
Die erste praktische Phase verlief im Sommer 2021: wir haben Parklets designt, gebaut und bepflanzt, Fahrradständer etabliert, Konzerte, Lesungen und Rad-Repair-Workshops ausgerichtet. Wir haben gegossen und aufgeräumt, mit den Menschen geredet und den Verlauf unseres Projekts dokumentiert. Die Neuaufteilung des öffentlichen Raumes hat gezeigt, dass dieser dringend benötig wird: unsere Parklets und Fahrradständer wurden bis zur letzten Minute genutzt. Es zeigt aber auch, dass eine Kultur des „Achtgebens“ und sich verantwortlich-Fühlens im öffentlichen Raum noch nicht etabliert ist.

Im Sommer 2022 haben wir das Projekt zum zweiten Mal auf die Straß gebracht: Auch hier haben wir Parklets und Fahrradständer aufgebaut, aufgrund einer umfangreichen Baum- und Pflanzenspende der Gärtnerei Bösel konnten wir auch Teile der Straße aufwendig begrünen. Der Bauentwickler Ehret & Klein hat uns mit der Zwischennutzung der „Franzi“ in der Schwanthaler Straße ermöglicht, die Gießlogistik zu vereinfachen, ein Lager und eine Werkstatt zu etablieren und unsere – personell stark begrenzten Ressourcen – besser zu nutzen.

Beim zweiten Mal konnten wir erleben, dass die Parklets noch besser angenommen wurden: Familien kamen, brachten Tische mit und aßen mit Freunden zu Abend, Anwohner holten ein Backgammonspiel heraus und spielten, sobald die Hitze dies zuließ. Die Fahrradständer wurden gut genutzt und die Pflanzen gewürdigt.

Welche Wirkung hatte das Projekt?
Erst einmal wurde deutlich, dass die Aufwertung des öffentlichen Raumes sofort angenommen wird. Menschen kommen zusammen, spielen, essen. Kinder können den Raum wieder für sich nutzen. Gemeinschaft entsteht, Nachbarn lernen sich kennen. Menschen, die vielleicht kleine Wohnzimmer, beengte Wohnungen und keine Balkone haben, haben einen Raum, in dem sie den Sommer und die Gemeinschaft genießen können.

Außerdem wurde deutlich, wie schnell eine ökosoziale Transformation entsteht, sobald der Raum der Autos begrenzt und reduziert wird. Soziales Leben kann dort entstehen, wo Menschen bisher nur ihre Autos abgestellt haben. Zudem haben erste Gewerbetreibende Verantwortung übernommen, gegossen, entmüllt und, ja, das war leider auch ein Thema, Betrunkene verscheucht.
Öko oder sozial? Beides!
Unser Ziel ist, so viel Anwohner und Gewerbetreibende in das Projekt miteinzubinden. Dies ist, wie bereits oben beschrieben, nicht einfach, da gerade Migranten der Zugang zu direktdemokratischen Institutionen fehlt, und meist nichts oder wenig mit „dem Staat“ zu tun zu haben möchten. Dennoch ist es uns gelungen, Einzelpersonen zu begeistern. Gerade weil das Projekt so arbeitsintensiv ist, sind wir auch auf Mithilfe von Außen angewiesen. Unsere frühzeitige Kommunikation und regelmäßig Anwesenheit in der Landwehrstraße im Frühjahr und Sommer 2021 hat sich dabei als hilfreich erweisen, dies wollen wir diesen Winter über neu starten. Außerdem war unser Projekt schon zwei Mal sichtbar, sodass wir an unsere vergangene Arbeit anknüpfen können. Ziel ist ja, die Nachbarschaft zu verknüpfen und soziale Netze zu stärken, die durch den raumgreifenden Autoverkehr zerstört wurden.

Wir haben vor allem die Menschen erreicht, die in der Landwehrstraße leben und arbeiten, indem wir das Leben auf die Straße zurückgeholt haben. Dies waren Freunde, die dort gespielt haben, rumänische Leiharbeiter, die dort einfach nur verschnaufen konnten, Familien, die dort mit ihren Kindern gegessen haben. Gewerbetreibende berichteten uns, dass ihr Umsatz erhöht wurde (diese Effekte sind auch aus der Forschung bekannt und deutlich belegt). Letztendlich wurde Menschen erreicht, die häufig in prekären Verhältnissen leben und die so ein wenig Lebensqualität gewinnen konnten.
Welche Pläne habt Ihr für die Zukunft?
Wir wollen unsere Arbeit ja nicht bei den Parklets belassen, sondern den Verkehrsfluss neu dosieren, die Anzahl der Autos minimieren, Lärm und Vergiftung des Umfelds minimieren. Da die Verkehrswende in München kaum vorankommt, ist ein professionell und mit Herzblut ausgeführtes Projekt wie das unsere wichtig, um den Menschen vor Augen zu führen, wie viel sie gewinnen, wenn die Autoverkehr und seine negativen Folgen begrenzt werden. Der Zugewinn an Lebensqualität war schon in dem Rahmen deutlich, den wir bislang in Anspruch genommen haben. Wenn es uns gelingt, den klima- und umweltpolitischen Notfallpatienten Landwehrstraße zu transfomieren, dann kann dies ein Leuchturmprojekt für ganz München sein.
Unser Herangehensweise, die Menschen erst zu befragen, dann Dinge zu testen und diese dann zu verstetigen, scheint uns eine gute Methode, um für ganz München sichtbar zu machen, was die Menschen gewinnen, wenn wir ihnen, und nicht dem Auto den Vorrang geben.
Wie sieht das Projekt in zwei Jahren aus?

Im Moment arbeiten wir mit zwei Strategien: Wir verstetigen, was sich in den letzten zwei Jahren bewährt hat (Fahrradständer, Begrünung) und weiten uns räumlich aus, um die Effekte zu steigern. Gleichzeitig wollen wir auch die Qualität der Maßnahmen steigern: wir planen weitere Temporeduktionen für Autos, die Reduktion von Durchgangsverkehr, die Verbesserung der Situation des Lieferverkehrs und eventuell sogar eine Fußgängerzone bzw einen shared space Tempo 10, bei dem der Fußverkehr endlich von den überfüllten Gehwegen herunterkommt und die Straße für sich in Anspruch nehme kann.